Wirtschaft im Main-Kinzig-Kreis erwartet Rezession

(pm/ea) – Die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sowie die Rohstoff-, Gas-, Strom- und Energiepreiskrise lassen wie erwartet die Konjunktur auch im Main-Kinzig-Kreis kräftig einbrechen. Hinzu kommt: Auch die Friktionen in den weltweiten Wertschöpfungsketten belasten.

Die kräftig angezogene Inflation beschert zudem ein deutlich höheres Maß an Verunsicherung in den Unternehmen und bei den Endverbrauchern. Vor dem Hintergrund dieser enormen Belastungen stimmt es zuversichtlich, dass sich die Konjunktur in der Region zwar drastisch, aber nicht extrem abgekühlt hat, zumindest noch nicht. Zu diesem Fazit kommt die IHK Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern nach Auswertung ihrer aktuellen Herbst-Konjunkturumfrage.

Laut den Umfrageergebnissen stufen aktuell 26,9 Prozent aller 160 antwortenden Unternehmen aus allen wichtigen Teilregionen und Branchen in Hanau und im Landkreis ihre Wirtschaftslage als gut ein. Vor einem Jahr bewerteten allerdings noch 43,7 Prozent der Unternehmen ihre gegenwärtige Lage als „gut“, und im Frühjahr waren es 34,4 Prozent. Diese merkliche Abkühlung korrespondiert mit den negativen Lagebildern in Teilen der Wirtschaft. Momentan verzeichnet die IHK 16,3 Prozent der Betriebe mit „schlecht“-Antworten, gegenüber 10,2 Prozent vor einem Jahr und 16,7 Prozent im Mai. Unter dem Strich bleibt der Saldo zwischen den Antworten „gut“ und „schlecht“ mit 10,6 Prozentpunkten noch deutlich im Plusbereich. Das ist deutlich besser als zum Höhepunkt der Corona-Krise im Frühsommer 2020 – damals lag der Saldo bei -28,3 Punkten.

Weitaus schlechter bewerten die Unternehmen ihre künftigen Aussichten: Lediglich 5,7 Prozent der Unternehmen hoffen als Besserung im kommenden Jahr. Im Frühsommer lag dieser Wert noch bei 11,2 Prozent und vor einem Jahr bei 24,0 Prozent. Eine „eher ungünstigere“ Entwicklung erwarten derzeit 52,5 Prozent der Unternehmen nach 42,1 Prozent im Mai und 15,3 Prozent im Oktober 2021.

Besonders schlecht schätzen kleinere Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern die aktuelle und die bevorstehende Wirtschaftslage ein. Nur jedes siebte Unternehmen (15,8 Prozent) schätzt die aktuelle Lage als gut ein, und gar nur jedes fünfzigste Unternehmen (1,8 Prozent) sieht die Zukunft positiv. Die größeren Mittelständler bewerten die Lage und ihre Erwartungen hingegen etwas besser, wenn auch bei weitem nicht als gut.

Der IHK-Konjunkturklima-Indikator verknüpft die Angaben zu Lage und Erwartungen. Dieses Mal fällt die zentrale Kennzahl auf 76,7 Punkte – aber sie liegt damit um mehr als 13 Punkte höher als zu Beginn der Corona-Krise und um zehn Punkte oberhalb des Wertes am Beginn der Weltfinanzmarktkrise vor über 13 Jahren.

„Fast drei Jahre nach Beginn der Corona-Krise erlischt bei vielen der kleineren Unternehmen die Hoffnung auf eine grundlegende Besserung der Lage. Das ist Besorgnis erregend, zumal viele dieser Unternehmen kaum noch die finanzielle Kraft haben dürften, beim nächsten Aufschwung wieder durchzustarten. Da wir aus anderen Umfragen wissen, dass bei einer Verdoppelung der Energiepreise im Vergleich zu 2021 gut die Hälfte der Unternehmen in diesem Jahr rote Zahlen schreiben wird, fürchte ich, dass die Gaspreisbremse nicht reichen wird, um die vielen, hoch belasteten Dienstleister, Händler und Industriezulieferer über Wasser zu halten. Geschieht zu wenig oder zu spät oder das Falsche, wird diese Krise viel mehr Opfer unter diesen Unternehmen und ihren Mitarbeitern fordern als die Pandemie“, befürchtet IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Gunther Quidde. Der IHK-Mann sieht aber auch Hoffnungszeichen: „Die aktuelle Lage in der Wirtschaft bedeutet eine erhebliche Verschlechterung, ganz besonders in den nächsten Jahren. Aber ich leite aus den Daten noch keinen tieferen Absturz der Konjunktur her. Aus dem aktuellen Tief kann sich die Wirtschaft wieder herausarbeiten. Offensichtlich haben viele mittlere und große Unternehmen ihre Hausaufgaben bereits gemacht, um ihre Kosten wieder in den Griff zu kriegen. Die kleineren Firmen haben es da oft schwerer, sollten es ihnen aber gleichtun.“

Die Unternehmen handeln sehr vorsichtig

Aus den Ergebnissen der IHK-Umfrage lässt sich ableiten, dass momentan sehr viele Unternehmen geplante Investitionen zurückstellen und ihre Mitarbeiterzahl nicht weiter aufstocken wollen. Diese Unternehmen wollen ihre angespannte Finanzlage nicht noch zusätzlich belasten. Aber die Kapitalbasis ist bei zwei Dritteln aller Unternehmen noch immer unproblematisch, trotz aller Belastungen. Dies dürfte der Grund sein, warum vor allem Unternehmen aus Industrie und Großhandel – im Inland! – verstärkt investieren wollen – und das nicht nur in Rationalisierungen, sondern auch in Produktinnovationen und Kapazitätserweiterungen. Noch ist es zu früh, um daraus einen Silberstreif am Konjunkturhorizont zu konstruieren – aber der Hoffnungsschimmer könnte schon 2023 zu erkennen sein. Eine erste zaghafte Entwarnung gibt es sogar schon bei den Exporten – 2023 dürfte die exportstarke Wirtschaft im Main-Kinzig-Kreis noch zu kämpfen haben, aber die ganz großen Sorgen vom Frühjahr beginnen sich zu legen. Offensichtlich bekommen immer mehr Unternehmenseinkäufer ihre Lieferketten nach Neuaufstellung sukzessive wieder in den Griff.

Konjunkturabkühlung in fast allen Branchen

In nahezu allen Branchen sind laut IHK-Umfrage die Erwartungen teils deutlich gesunken. Vor allem der breit aufgestellte Einzelhandel, aber auch der Großhandel, sowie das Gastgewerbe stehen vor einer Krise, die nicht nur konjunkturell verursacht ist. Die Hauptursache: Die Konsumneigung der privaten Haushalte ist angesichts der stark erhöhten Kosten für Strom, Gas und andere Energieträger drastisch in den Keller gegangen. Wo kaum Geld ist, kann auch nur wenig mehr als das Notwendige konsumiert werden. Wenn das Verbrauchervertrauen schrumpft, spüren dies diejenigen Branchen besonders stark, die Endverbraucher bedienen. Die Krise des Handels, die längst zur Krise der Innenstädte geworden ist, schwelt nicht mehr, mittlerweile brennt es offen im Gebälk. Sorgen macht sich auch das Baugewerbe, dass nach Jahren des Erfolges nun wieder gezwungen ist, seine Pläne zurückzuschrauben. Aktuell tragen – in Grenzen – die Konjunktur vor allem drei Branchen: Den personenbezogen arbeitenden Dienstleistern geht es noch recht gut, die Industrie ist bei weitem nicht so stark abgestürzt, wie befürchtet, und die Geldhäuser können dank der Rückkehr von Pluszinsen wieder ein wenig auf Besserung hoffen – allerdings noch auf sehr niedrigem Niveau.

Fachkräftemangel, Inlandsnachfrage sowie Energie- und Rohstoffpreise als Hauptrisiken

„In den Lehrbüchern für Wirtschaft dürfte sich schon bald ein neues Kapitel finden lassen unter der Überschrift ‚Fachkräftemangel bei Inflation und steigenden Zinsen‘. Ich kann mich nicht erinnern, jemals davon gelesen zu haben, dass die beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital gleichzeitig in allen Industrieländern knapp wurden. Das ist sehr ungewöhnlich und belastet sehr viele Unternehmen auch bei uns erheblich“, skizziert IHK-Hauptgeschäftsführer Quidde die aktuelle Lage. Was belastet die Unternehmen besonders? Laut Umfrage der IHK ist es neben den stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise mitsamt Inflation vor allem die schwächere Inlandsnachfrage, die sich an dieser Stelle als fehlende Binnennachfrage etwa im Einzelhandel kristallisiert. Aber auch der noch immer bestehende Fachkräftemangel begrenzt die Chancen auf eine baldige wirtschaftliche Erholung. Der IHK-Chef dazu: „Das ist ein struktureller und kein konjunktureller Faktor, auf den Unternehmen vor allem mit einer deutlichen Ausweitung ihrer der Aus- und Weiterbildungsaktivitäten sowie mit Maßnahmen zur besseren Vereinbarung von Beruf und Familie reagieren. Beide Wege sind gut geeignet, neben verstärkten Rationalisierungen zum Abbau von Routinetätigkeiten in den Unternehmen, um den Fachkräftemangel wenigstens ein wenig abzufedern.“ Da es unwahrscheinlich ist, dass jetzt aus dem Ausland gut qualifizierte Fachkräfte den Weg zu uns finden, bleibt den Betrieben auch sonst wenig anderes übrig. Der Arbeitsmarkt dürfte in den kommenden Monaten und Jahren kaum diejenigen Kräfte bereitstellen, die derzeit trotz aller Krisenzeichen händeringend gesucht werden. Bei 10.423 offiziell ermittelten Arbeitslosen, von denen maximal ein Drittel dem Arbeitsmarkt ohne große Einschränkungen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, herrscht im Main-Kinzig-Kreis weitgehend Vollbeschäftigung. Quidde dazu: „Ich gehe nicht davon aus, dass wir viele zusätzliche Arbeitslose in den kommenden Wochen und Monaten sehen werden. Wenn die Unternehmen während der Corona-Krise eines gelernt haben, dann das: Mitarbeiter, die freigesetzt wurden, wechseln zu anderen Arbeitgebern und kommen nicht zurück. Das war lehrreich! Leichtfertig kündigt kein Arbeitgeber mehr.“

Die Bundespolitik ist und bleibt vor diesem Hintergrund aufgefordert, die Unternehmen weitgehend zu entlasten, in begründeten Einzelfällen helfend einzugreifen und den Energiemarkt in der Europäischen Union ohne ideologische Scheuklappen zu voranzubringen. Nur gemeinsam können die europäischen Staaten die Kraft finden, ihre Wirtschaft neu, wettbewerbsstärker, Energie sparender und umweltschonender aufzustellen. Dazu braucht es beides: unternehmerische Freiheit und einen verlässlichen Handlungsrahmen.

Grafik: IHK

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