„Wir brauchen Mut und Zuversicht“ – Interview mit Marie-Luise Marjan zum Start der Brüder Grimm Festspiele in Hanau

(pm/ea) – Marie-Luise Marjan ist seit Jahren „Märchenbotschafterin“ der Brüder Grimm Festspiele, die im vergangenen Jahr ausfallen mussten. In diesem Jahr starten sie am 1. Juli. In einem Interview wertet die Künstlerin die Wiederaufnahme als wichtiges Zeichen der Zuversicht. Zugleich übt Marie-Luise Marjan Kritik an Versäumnissen, die während der Pandemie deutlich geworden seien und vor allem die Kinder getroffen hätten.

Frau Marjan, die Brüder Grimm Festspiele starten in diesem Jahr verspätet und mit einigen Einschränkungen.

Ja, aber das sind alles keine wesentlichen Punkte. Wesentlich ist, dass die Festspiele überhaupt wieder stattfinden. Damit setzen die Verantwortlichen und die Künstler ein ganz wichtiges Zeichen der Hoffnung nach einer bleischweren Zeit. Es gilt, was ich vor Jahren zu Beginn meiner Tätigkeit als Märchenbotschafterin gesagt habe: „Märchen vermitteln Werte und sie geben uns die Hoffnung, dass am Ende das Gute siegt.“ Und das ist genau das, was wir in diesen Zeiten am nötigsten brauchen.

Im vergangenen Jahr mussten die Festspiele komplett abgesagt werden. Wie haben Sie diese Nachricht erlebt?

Der Komplettausfall im vergangenen Jahr war sehr schmerzhaft. Ich habe an die Schauspieler, Autoren, Musiker und die vielen Helfer gedacht, die ja schon sehr weit waren mit den Vorbereitungen. Wir hatten ja auch schon Werbeclips für die Festspiele gedreht, die nun nicht mehr benötigt wurden. Da war auf einmal vieles für die Katz. Aber es gab zur Absage keine Alternative angesichts der Pandemie. Da haben wir alle gemerkt, was wir an den Festspielen haben.

Für dieses Jahr wird das ursprünglich für 2020 geplante Programm gespielt.

Ja, und das finde ich sehr schön. Immerhin haben sich die Menschen im vergangenen Jahr auf die angekündigten Stücke gefreut. Nun können sie diese auch erleben – wenn auch mit Verspätung. Ich halte die Entscheidung von Intendant Frank-Loren Engel für völlig richtig. Zumal ja vieles schon vorbereitet und die Bücher bereits fertig waren. Damit sind diese Arbeiten nicht umsonst gewesen. Wir dürfen ja nicht vergessen: Das Besondere an den Hanauer Festspielen ist die Tatsache, dass die Märchen nicht einfach nacherzählt, sondern immer wieder neu interpretiert werden. Die Besucher erleben also immer wieder Weltpremieren, auf die man gespannt sein darf.

Worauf freuen sie sich in diesem Jahr besonders?

Wie immer auf alle Stücke. Man kann stets etwas mitnehmen für das reale Leben, für den Alltag. Zum Beispiel „Das tapfere Schneiderlein“, das aus einem eher belanglosen Glücksfall Mut schöpft und sich seiner eigenen Kraft bewusst wird. Einer Kraft, die sogar Riesen in die Knie zwingt. Die Botschaft: Es lohnt sich, auch in schwierigen Zeiten auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen und den Mut niemals zu verlieren. Ich freue mich auch auf „Schneeweißchen und Rosenrot“, die ja Symbole für Treue und Zusammenhalt sind – etwas, das wir in unserer Gesellschaft gerade in diesen Zeiten so dringend brauchen. Gespannt bin ich auch auf den „Rattenfänger von Hameln“. Ich finde es großartig, dass Frank-Lorenz mit der erstmaligen Aufnahme einer Sage auch diesen oftmals weniger beleuchteten Teil des Werkes der Brüder Grimm auf die Bühne bringt. Und natürlich möchte ich auch den „Zerbrochenen Krug“ sehen. Das Stück ist über 200 Jahre alt, aber es hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Es zeigt uns auf äußerst humorvolle Weise allzu menschliche Schwächen auf und die Erkenntnis, das Lügen am Ende nur ins Chaos führen. Ich freu mich besonders auf die Inszenierung von Frank-Lorenz, zumal ich selbst als junge Schauspielerin zweimal das Evchen im „Zerbrochenen Krug“ an den Theatern in Karlsruhe und Basel gespielt habe. Und ich freue mich auch darauf, dass jetzt endlich „GrimmsMärchenReich“ wieder geöffnet hat, dieses wunderbare Mitmachmuseum in Schloss Philippsruhe. Hier können Kinder ganz konkret in die Welt der Märchen eintauchen und den belastenden Alltag hinter sich lassen. Dass Hanau für den Start in die Nach-Corona-Zeit im Juli in ihren Museen und damit auch im „Märchenreich“ keinen Eintritt erhebt, spricht zusätzlich für die Stadt.

Die Pandemie hat zu schweren Einschränkungen im Leben der Menschen geführt, wirtschaftliche Schäden verursacht, aber auch die Kulturschaffenden vor riesige Probleme gestellt.

Das ist unbestritten. Und ich glaube, dass man den großen Bereich der Kultur zu wenig, beziehungsweise erst zu spät in den Focus genommen hat. Mit jedem weiteren Monat der Einschränkungen ist deutlich geworden, dass der Mensch nicht allein vom Brot lebt. Ganz abgesehen davon, dass die Pandemie viele Künstlerkollegen wirklich vor existenzielle Probleme gestellt hat. Ich bin deshalb besonders dankbar, dass es immer wieder gerade auch lokale Initiativen gegeben hat, um dieses Los zu lindern. Da ist die Brüder-Grimm-Stadt Hanau ein großes Vorbild. Die Hilfen für die Künstler der Festspiele im vergangenen Jahr, die digitalen Angebote zum Beispiel über die Online-Konzerte und auch das jetzt aufgelegte umfangreiche Programm „Sommer in Hanau“ zeigen, dass die Stadt nicht untätig bleibt, sondern viele Zeichen der Hoffnung setzt und ganz konkret hilft. Das ist in einer Stadt, die nicht nur durch die Pandemie, sondern auch wegen der schrecklichen Terrorattacke vom 19. Februar besonders betroffen war, überlebenswichtig. Da kann man Oberbürgermeister Claus Kaminsky und allen Verantwortlichen nur größten Respekt und Dank zollen für ihre Arbeit.

Sie haben die zusätzliche Belastung Hanaus durch den Terror des 19. Februar erwähnt. Wie haben sie damals diese Nachricht aufgenommen?

Ich war genauso erschüttert, wie alle. Dass Menschen Opfer von Hass und Gewalt werden ist leider Alltag in unserer Welt. Aber wenn es im direkten Umfeld, quasi vor der eigenen Haustür passiert, berührt das noch einmal besonders stark. Dass dies ausgerechnet in Hanau, dieser vielfältigen bunten Stadt der Brüder Grimm passiert, macht besonders betroffen. Für die Angehörigen muss das schrecklich sein und der Schmerz wird wohl nie vergehen. Aber die Solidarität, die man in Hanau nach dem Attentat gespürt und konkret erlebt hat, die Initiativen von privaten Gruppen und der Stadtverwaltung mögen ein Trost sein und die Hoffnung nähren, das so etwas nie wieder passiert. Dass in die Zeit der Trauer auch noch die Corona-Pandemie fiel, war wirklich schlimm.

Glauben sie, dass Deutschland in Sachen Pandemie alles richtig gemacht hat?

Wer macht schon alles richtig, noch dazu in einer solchen Situation mit derart vielen Unbekannten? Sicher sind auch Fehler gemacht worden und es hat Pannen gegeben. Und es schmerzt auch, dass es Betrüger gegeben hat und offenbar immer noch gibt, die diese Lage schamlos zum eigenen Vorteil ausgenutzt haben. Aber letztlich sind wir bisher besser durch die Krise gekommen als viele andere Länder. Das sollten wir bei aller Kritik nicht vergessen. Wichtig ist, dass wir aus Fehlern lernen und die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen. Mir sind zum Beispiel in der Krise – bei allem notwendigen Focus auf Wirtschaft und Gesundheit – die Kinder viel zu kurz gekommen. Sie waren vielleicht gesundheitlich weniger bedroht als die älteren Menschen. Aber sie haben nicht weniger unter der Pandemie gelitten. Schule online kann die reale Schule mit der Begegnung von Lehrern und Altersgenossen nicht ersetzen. Für Kinder, die in beengten Wohnverhältnissen leben, ist das doppelt schwer. Da wurde von den politisch Verantwortlichen in den vergangenen Jahren so manches versäumt. Und dies ist in der Pandemie noch einmal deutlich zu Tage getreten.

Sie engagieren sich seit Jahrzehnten für benachteiligte Kinder national und international. Etwa bei UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, bei der Organisation Plan International und mit ihrer eigenen Stiftung. Auch die Pandemie war und ist, wie der Name schon sagt, ein globales Problem…

…unter dem Kinder in aller Welt zu leiden haben. Und dies dürfen wir bei allen Problemen vor der eigenen Haustür nicht vergessen. „Homeschooling“ ist für Kinder in vielen Ländern allein schon deshalb kein Thema, weil sie noch nicht einmal eine reale Schule kennen, sondern zum Beispiel arbeiten müssen. Auch wenn sie vielleicht persönlich keine Krankheitssymptome hatten, haben viele dennoch Bezugspersonen in der Pandemie verloren, den Großvater, die Großmutter oder die Eltern. Denken wir nur an die schreckliche Situation in Indien. Wir müssen beides tun: Wir müssen uns um die benachteiligten und von der Pandemie betroffenen Kinder in unserem Land, aber auch in der Welt kümmern. Wir sind so ein reiches Land, und wir machen ja auch viel, aber wir könnten noch viel mehr tun.

Welche Lehren sollten wir aus der Krise ziehen?

Wenn uns die Pandemie etwas gelehrt haben sollte, dann ist das Demut, die Notwendigkeit von Solidarität und die Hoffnung, dass man auch schwierige Herausforderungen meistern kann. Und damit sind wir genau bei den Botschaften, die Märchen vermitteln. Ich kann deshalb allen nur empfehlen, ob Groß oder Klein, die Brüder Grimm Festspiele zu besuchen. Hier gibt es Mut und Zuversicht im Übermaß. Und das ist genau das, was wir in diesen Zeiten brauchen.

Auf dem Foto: Märchenbotschafterin Marie-Luise Marjan mit dem Maskottchen der Brüder Grimm Festspiele – dem Einhorn aus dem Märchen „Das tapfere Schneiderlein“ – im Hanauer Schloss Philippsruhe

Foto: Brüder Grimm Festspiele

Mit den Brüder Grimm Festspielen ehrt die Stadt Hanau die deutschen Märchensammler und Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm, die in Hanau geboren wurden. Jedes Jahr locken die preisgekrönten Festspiele rund 80.000 Besucher an. In diesem Jahr finden die 37. Festspiele mit den Stücken „Das tapfere Schneiderlein“ (Musical/Premiere am 1.Juli), „Schneeweißchen und Rosenrot“ (Premiere am 6. Juli), „Der Rattenfänger von Hameln“ (Premiere am 8.Juli) sowie „Der zerbrochne Krug“ (Reihe Grimm Zeitgenossen/Premiere am 2. Juli 2021) vom 1. Juli bis 29. August 2021 statt. Weitere Informationen über die Brüder Grimm Festspiele gibt es unter www.festspiele.hanau.de im Internet. Tickets gibt es an allen bekannten Vorverkaufsstellen sowie im Internet unter www.frankfurt-ticket.de oder auch unter der Telefonnummer 069 / 13 40 400.

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