Bundestagsabgeordneter Dr. Sascha Raabe im Erlensee Aktuell-Sommerinterview

(ea) – Seit 15 Jahren Abgeordneter des Deutschen Bundestages, seit 2011 Mitglied des Kreistages: Im Erlensee Aktuell-Sommerinterview berichtet Dr. Sascha Raabe (SPD) von bundespolitischen und regionalen Themen sowie seiner Motivation, sich wieder um das Bundestagsabgeordneten-Mandat zu bewerben.

Als früherer Bürgermeister der Gemeinde Rodenbach wissen Sie über lokale und regionale Themen bestens Bescheid. Seit 2002 kümmern Sie sich als Mitglied des Entwicklungsausschusses jedoch auch um globale Herausforderungen mit ihren Auswirkungen auf jeden von uns. Es soll ihr Wunschausschuss gewesen sein. Stimmt das?

Ich habe schon als Jugendlicher nicht verstanden, dass wir – obwohl wir eine reiche Nation sind – es zulassen, dass 20.000 Menschen täglich an den Folgen von Hunger und Armut sterben. Leider passiert dies auch heute noch. Das war meine Motivation, in den Entwicklungsausschuss zu gehen.

Was ich auch in meinem Wahlkreis immer wieder versuche, klar zu machen, ist die Tatsache, dass bei der Entwicklungszusammenarbeit neben den humanitären Gründen auch ein großer Anteil Eigeninteresse unseres Landes dabei ist: Weder Klimawandel noch Flüchtlingskrise lassen sich ohne Unterstützung der Entwicklungsländer in den Griff bekommen. Keiner verlässt ohne Not seine Heimat. Viele Länder, aus denen Flüchtlinge zu uns kommen, besitzen eine völlig andere Altersstruktur als wir: Es gibt anteilsmäßig viel mehr junge Menschen, die nach ihrer Ausbildung ihre Zukunft bei uns suchen. Denen müssen wir eine Perspektive in ihrer eigenen Heimat bieten.

Sie sind 2014 vom Amt des entwicklungspolitischen Sprechers zurückgetreten. Was waren Ihre Beweggründe für diesen Schritt?

Es war ein Zeichen des Protests: Deutschland hatte viel zu wenig Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitgestellt. Die Bedingungen in den Flüchtlingslagern wurden immer schlechter, was wiederum Hauptursache für den Flüchtlingsstrom war. Wäre das Geld nicht immer knapper geworden, hätten wir den Menschen viel Leid ersparen können.
Die vielen Ehrenamtlichen hier in Deutschland haben quasi den so verursachten „Karren aus dem Dreck“ gezogen. Tausende Helferinnen und Helfer haben die Flüchtlingskrise gemeistert, denen dafür mein großer Dank und mein höchster Respekt gilt.

Daher gilt ganz klar: Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, dazu gehören unter anderem Bildung, um ein eigenständiges Leben zu ermöglichen sowie faire Handelsbedingungen. Wer friedlich in seinem Heimatland in Würde von seiner Arbeit leben kann, muss und will nicht nach Europa fliehen.

Ich finde es in diesem Zusammenhang übrigens klasse, dass Erlensee Fair-Trade-Town wurde.

Stichwort „faire Handelsbedingungen“ – was heißt das im Detail?

Wir müssen Handelsverträge so abschließen, dass Arbeitnehmerrechte eingehalten werden und Kinderarbeit verhindert wird. Ein Beispiel aus der Bananenverordnung der EU: Hierin werden zwar Bananengrößen vorgeschrieben, sie sieht aber kein Verbot von Kinderarbeit vor. Bei der Ernte werden zudem oft gleichzeitig Pestizide versprüht, ohne Rücksicht auf die in den Plantagen arbeitenden Menschen. Dies sind wichtige Themen, die mit Hilfe von Handelsverträgen und Verordnungen abgestellt werden müssen.

Gibt es dennoch Lichtblicke zu vermelden?

Ganz eindeutig JA. Wir haben verbindliche Richtlinien bei den so genannten Konfliktmineralien wie zum Beispiel Gold und Coltan aufgestellt. Unternehmen müssen nun verbindlich nachweisen, dass sie keine Mineralien von Minen beziehen, in denen Kinder arbeiten oder die von so genannten War Lords betrieben werden, die die Einnahmen zur Finanzierung von Kriegen verwenden. Dafür habe ich mich viele Jahre eingesetzt und konnte einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass Deutschland sich hier in Europa mit dieser verbindlichen Regelung durchgesetzt hat.

Alle europäischen Firmen müssen darüber hinaus generell beim Abbau von Rohstoffen aller Art, wie beispielsweise Öl, Kohle und Diamanten, veröffentlichen, wo Steuern und Abgaben entrichtet werden und die geschlossenen Verträge transparent gestalten. Damit kann Korruption verhindert werden.

Das sind wichtige Schritte, die Globalisierung gerechter zu gestalten.

Ich setze mich für fairen statt freien Handel ein: frei von überflüssigen technischen Vorschriften und Zöllen, aber nicht frei von Arbeitnehmerrechten und Umweltvorschriften. Das hilft übrigens auch ganz konkret den Arbeitnehmern hier in Erlensee, Hanau und im gesamten Main-Kinzig-Kreis. Denn viele Unternehmen drohen regelmäßig ihre Standorte nach Asien oder Afrika zu verlagern und fordern deshalb von den Beschäftigten hier Lohnzurückhaltung. Es muss Schluss damit sein, dass Unternehmen sich ihre Standorte danach aussuchen können, wo sie Mensch und Umwelt am meisten ausbeuten können. Starke Arbeitnehmerrechte weltweit sichern deshalb auch Arbeitsplätze und Löhne im Main-Kinzig-Kreis.

An Ihren beschriebenen Beispielen wurde deutlich, wie stark Ihre bundespolitische Arbeit auf die Region ausstrahlt und jeden von uns betreffen kann. Dennoch gibt es ja auch kommunalpolitische Themen, die es als nächstes zu besprechen gilt. Was liegt Ihnen hier ganz spontan besonders am Herzen?

Für mich ist es wichtig, dass wir starke Kommunen haben, die ohne Verschuldung und Privatisierung ihre Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllen können. Dafür brauchen die Kommunen aber eine auskömmliche Finanzausstattung. Kleinere Städte wie Erlensee und kreisangehörige Gemeinden sind besonders auf die Einnahmen aus dem Anteil an der Einkommensteuer angewiesen. Deswegen wollen wir nicht wie die CDU die Steuersätze für alle senken. Sondern wir wollen nur die Gering- und Normalverdiener entlasten, dafür aber die Spitzenverdiener höher belasten, damit die Kommunen mehr Geld bekommen. Kommunen mit weniger einkommensstarken Einwohnern profitieren über den kommunalen Finanzausgleich ebenfalls von einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

In diesem Zusammenhang halte ich auch die Einführung einer Finanz-Transaktionssteuer für mehr als überfällig: Beim Kauf von einem Joghurt zahlt jeder Umsatzsteuer, bei millionenschweren Finanzprodukten wird kein Cent Umsatzsteuer bezahlt. Mit den Einnahmen sollte der Bund den Kommunen die nötigen Mittel bereitstellen, denn wir wollen künftig auch die Kitas gebührenfrei machen. Nur starke Kommunen können das Ehrenamt und die Vereine fördern und vor Ort Menschen aus verschiedenen Ländern integrieren.

Wichtig finde ich auch, dass der Fluglärm endlich verringert wird durch eine Ausweitung des Nachtflugverbotes und ein lärmärmeres Anflugverfahren.

Wie sieht es bei den Infrastrukturthemen aus. Kommen wir da Ihrer Meinung nach voran?

Bei der Nordmainischen S-Bahn und dem Ausbau der A 3 gibt es natürlich keine Differenzen zwischen den Parteien. Da ziehen wir an einem Strang, da diese Projekte von allen selbstverständlich als besonders vordringlich angesehen werden.

Wenn ich an den Riederwaldtunnel denke, so ist die Verzögerung eine einzige Schande und den Bürgerinnen und Bürgen nicht mehr vermittelbar. Ich habe im Jahr 2009 für Finanzmittel des Bundes gesorgt und mit dem damaligen Verkehrsminister Tiefensee den Spatenstich vollzogen. Wo wir heute stehen, ist bekannt.

Das kommt davon, wenn der Bund finanziert, aber das Land plant. Zukünftig wird es andere Zuständigkeiten geben, die Durchführung wird in einer Gesellschaft gebündelt, die im Auftrag des Bundes plant und baut.

Da wir gerade beim Thema Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern sind: Die derzeit herrschenden 16 verschiedenen Bildungssysteme gehören abgeschafft. Hier muss es endlich eine bundeseinheitliche Bildungspolitik geben.

Genauso sieht es bei der Sicherheit aus: Derzeit gib es 16 verschiedene Verfassungsschutzämter und Polizeibehörden, die jeweils eine eigene Computer-Software verwenden. Das ist irre und nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen beim Thema Sicherheit mehr Zuständigkeiten auf den Bund übertragen. Der Fall Amri hätte verhindert werden können, ja sogar müssen!

Zum Schluss zwei Themen, die Erlensee beschäftigen: Die Entwicklung des Fliegerhorstes und die geplante Fusion mit Neuberg. Ihre Meinung dazu?

Als ehemaliger Bürgermeister habe ich Vertrauen in die kommunalen Vertreter in den Parlamenten, sowohl, was die Fusion betrifft, über die demokratisch abgestimmt werden muss, als auch die Entwicklung des Fliegerhorstes.

Zum zweiten Thema möchte ich noch anfügen, dass ich dafür plädiere, von Bundesseite her zukünftig Konversionsflächen an Kommunen besonders günstig zu verkaufen.

Welche Highlights gab es für Sie in der abgelaufenen Legislaturperiode?

Was mich besonders freute, war die bereits erwähnte europaweit in Kraft getretene Richtlinie bei den Konflikt-Mineralien und insgesamt die Erhöhung der Mittel für die Entwicklungs-Zusammenarbeit, die zwar zu spät, aber auch aufgrund meines Protestes ab 2015 deutlich gestiegen sind.

Im Wahlkreis hat mich besonders gefreut, dass ich dabei helfen konnte, einen geplanten massiven Stellenabbau bei der Vacuumschmelze in Hanau zu verhindern. Natürlich war ich auch stolz, dass wir die Eröffnung der Ortsumgehung Nidderau vollziehen konnten. Dafür hatte ich mich viele Jahre lang eingesetzt.

Ich konnte auch mithelfen, die Planungen für die Nordmainsche S-Bahn voranzutreiben und die Finanzierung für den Ausbau der A3 zwischen Anschlussstelle Hanau und Offenbacher Kreuz im jüngsten Bundesverkehrswegeplan zu sichern.

Verdammt stolz bin ich auf so viele Bürgerinnen und Bürger, die hier die Flüchtlingskrise gemeistert haben, mit viel Engagement, Solidarität und ohne Hass. Ebenso freut mich, dass das Projekt „Demokratie leben“ in Erlensee und Rodenbach gestartet wurde, und ich hier helfen konnte, Mittel vom Bund dafür zu erhalten. Ich war persönlich dabei, als unter Leitung von Anita Losch und Torsten Stoll die vom Bürgerverein Soziales Erlensee initiierte Theatergruppe ihr Stück „Zu Hause in Globalien – Verkehrte Welt“ in Berlin uraufgeführt hatte. Ein sehr sehenswertes Theaterstück, in dem Flüchtlinge die Hauptdarsteller sind.

Welche Themen sind für Sie in der nächsten Legislaturperiode so wichtig, dass Sie sich weiterhin dafür engagieren wollen?

Natürlich ist das erst einmal die Fortführung der besprochenen Themen, von Verkehrsinfrastruktur in unserem Kreis, gebührenfreier Bildung, finanzstarken Kommunen bis zum fairen Handel weltweit. Wir gehen demnächst in die entscheidende Runde: Handelsverträge mit Staaten in Asien und Afrika stehen an.

Für mich ist auch das Thema „Innere Sicherheit“ wichtig. Wir brauchen einen starken Staat mit mehr Personal bei Polizei und Sicherheitsbehörden, um die Bürger bestmöglich vor Kriminalität und Terror schützen zu können.

Eine besonders große Herausforderung sehe ich in der Integration der vielen Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind. Hier müssen wir fördern und fordern: D.h. Deutschkurse und Berufsqualifizierung vom ersten Tag an und natürlich auch darauf pochen, dass sich alle Zugezogenen an die Spielregeln halten, die in unserem Land gelten und in unserem Grundgesetz verankert sind.

Sorge macht mir in diesem Zusammenhang der aufkommende Rechtsextremismus, der sich leider auch in unserem Kreis zunehmend breit macht. Ich stelle niemanden in die rechte Ecke, der Sorgen vor Zuwanderung hat. Und man darf auch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisieren. Auch ich finde, dass Fehler gemacht wurden! Man darf auch eine drastische Begrenzung der Zuwanderung oder eine Obergrenze fordern und ist deshalb kein Rechtsextremer. Aber Kritik muss sich immer im Rahmen unserer Demokratie und unseres Grundgesetzes bewegen. Mir macht es große Sorge, dass der Spitzenkandidat der AfD für die Bundestagswahl, Alexander Gauland, sich rassistisch und rechtsextrem äußert. So will er meine Fraktionskollegin Aydan Özoguz für eine Aussage über die deutsche Kultur, die ich übrigens auch nicht teile, „in Anatolien entsorgen“ lassen. Außerdem bezeichnet Gauland die Zuwanderung als „Invasion“ und „schleichende Landnahme“. Das ist rassistisch und rechtsextrem und verstößt gegen unseren obersten Verfasssungsgrundsatz, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist.

Ich werde also in der nächsten Legislatur weiterhin die Sorgen der Menschen vor Zuwanderung ernst nehmen, mich aber genauso entschieden gegen diejenigen wehren, die unsere Gesellschaft mit Fremdenfeindlichkeit und rechtem Hass spalten wollen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Markus Sommerfeld

Foto: Privat

 

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