Rassismus bei der deutschen Polizei? – Erlensee Aktuell hat Kreis- und Landespolitiker um Stellungnahme zur geplanten Studie der Bundesregierung gebeten

(ms/ea) – Nach der Äußerung von SPD-Chefin Saskia Esken, es gebe auch unter deutschen Polizisten Fälle von „latentem Rassismus“, plant die Bundesregierung eine wissenschaftliche Untersuchung zu möglichen rassistischen Tendenzen in der Polizei, was nicht nur dort für einiges Aufsehen gesorgt hat. Erlensee Aktuell hat diesbezüglich Kreis- und Landtagsabgeordnete um deren Stellungnahmen gebeten, die nachfolgend im Wortlaut aufgeführt sind.

In der Stellungnahme sollte Position bezogen werden zum einen zu den Fragestellungen, ob eine solche Studie für gerechtfertigt gehalten werde und welche Erwartungen man an eine solche stelle und zum anderen zum Vorwurf, „die Polizei werde unter eine Art Generalverdacht gestellt“.

Reiner Bousonville, Fraktionsvorsitzender Bündnis 90 / Die Grünen Main-Kinzig:

„Grundsätzlich ist es falsch, eine generalisierte Aussage über die Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten zu treffen. Saskia Esken ist mit ihrem Ansatz, jedem Polizeibeamten in Deutschland einen latenten Rassismus zu unterstellen, weit über das Ziel hinausgeschossen. Dennoch: Rassistische Strömungen in der Polizei müssen konsequent begegnet werden, um die Polizei als Institution zu stärken. Es braucht eine kritische Aufklärung von Vorfällen wie am Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2019 vor der Polizeistation in Schlüchtern. Dort hatten die Polizisten sowohl die deutsche als auch die hessische Flagge kopfüber gehisst. Dieses Symbol wird von Extremismusexperten als Ablehnung des Staates und als Geste von Neonazis und Reichsbürgern interpretiert. Es ist offensichtlich, dass diese Provokation als Statement zu verstehen ist. Dieses Beispiel zeigt, dass es rechte Tendenzen in dieser Institution gibt, gegen die konsequent vorgegangen werden muss. Eine solche Studie sollte neutral und unvoreingenommen die aktuelle Situation betrachten und vor allem auch öffentlich machen. Denn ob es rassistische Tendenzen innerhalb der Polizei gibt, wurde viel zu lange stiefmütterlich behandelt und öffentlich kaum thematisiert.

Es darf nicht, und das denke ich wird es auch nicht, darum gehen, einen generalisierten Verdacht gegenüber den Polizeibeamten in Deutschland auszusprechen. Falsch halte ich es außerdem, die Auswüchse in Amerika auf Deutschland zu beziehen. Solche Arten von Polizeigewalt gibt es hier nicht, dennoch zeigt es eindeutig, dass jeder Keim von rassistischen Tendenzen in der Polizei genau benannt und aufgeklärt muss.“

Christoph Degen, SPD-Landtagsabgeordneter: 

„Werden Menschen allein aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes oder ethnischer Merkmale polizeilich kontrolliert, handelt es sich um „Racial Profiling“. Vermehrte selektive Kontrollen führen dabei zur Aufdeckung von mehr Delikten bestimmter Gruppen. Nicht, weil diese grundsätzlich krimineller sind, als andere, sondern weil sie, im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Gruppen, überproportional kontrolliert werden. In der Konsequenz führt dies dann zu Verzerrungen von Kriminalitäts-Statistiken und auch zu einem verzerrten Bild in der Gesellschaft.

Wird dies auch in Deutschland praktiziert? Gerne würde ich sagen, dass solche Fälle hier nicht vorkommen, denn sie widersprechen Artikel 3 unseres Grundgesetzes. Allerdings gibt es Alltagsrassismus wohl in allen Lebensbereichen und Berufen. Von einzelnen auf eine ganze Berufsgruppe zu schließen, halte ich jedoch für falsch.

Polizistinnen und Polizisten gehen einer anspruchsvollen und oft belasteten Tätigkeit nach. Schon mehrfach durfte ich Polizeikräfte schichtweise im Rahmen meiner Praxistage (und in dem Fall auch Praxisnächte) bei ihrer Arbeit begleiten. Erlebt habe ich „Racial Profiling“ nie. Auch halte ich nichts davon die Menschen, die jeden Tag ihrer Leben für andere aufs Spiel setzen, unter Generalverdacht zu stellen. Den Polizistinnen und Polizisten gebührt zuallererst Respekt und Anerkennung für ihre Arbeit. Angriffe auf sie und auch auf Rettungskräfte in der jüngeren Vergangenheit dürfen nicht hingenommen werden. Ihnen sollte mehr Wertschätzung entgegengebracht werden.

Allerdings gibt es auch in Deutschland Menschen, die der Auffassung sind, dass sie nur aufgrund ihres Aussehens kontrolliert wurden. Über die bekannten Einzelfälle hinaus ist es allerdings schwierig Aussagen zu treffen, weil es an Zahlen und Studien mangelt. Das ist auch Teil des Problems. Einzelne Erfahrungen, ob gute oder schlechte, sind meist subjektiv und ersetzen keine belastbare Studie. Daher begrüße ich eine objektive Erhebung zu diesem Thema. Sie kann auch dazu beitragen ein für alle Mal die Polizei von Vorwürfen eines strukturellen Rassismus zu entlasten und all den rechtschaffenden Polizeikräften den Rücken zu stärken. Gleichzeitig wird eine Grundlage geliefert, um noch viel zielgerichteter Prävention zu betreiben und mögliche Einzelfälle aufzudecken.

Denn auch der Polizei ist nicht damit gedient, wenn sich rassistisch Handelnde in den eigenen Reihen befinden – und mögen es auch nur wenige sein. Sollte „Racial Profiling“ also in der Praxis angewendet werden, gilt es diese Fälle zu identifizieren. Denn Taten von Einzelnen können fälschlicher Weise ein schlechtes Licht auf alle Polizeibeamtinnen und -beamten werfen.
Wenn die aktuelle Debatte hilft, dass alle Menschen stärker darüber nachdenken, welche Vorurteile sie gegebenenfalls selbst im Kopf haben, dann ist auch das gut für eine vielfältige und gerechte Gesellschaft.“

Dirk Gaw, AfD-Landtagsabgeordneter:

„Generell möchte ich mich einer wissenschaftlichen, empirischen Untersuchung gegenüber nicht verschließen, allerdings sehe ich diese durchaus als kritisch an, da hier seitens der Regierung durch eine solche Studie, der Polizei auch Misstrauen entgegengebracht wird und ihr Stellenwert in unserer Gesellschaft weiteren Schaden nimmt.

Ich teile die Meinung des hessischen Polizeipräsidenten, dass wir beim Thema Extremismus bzw. Rassismus innerhalb der Polizei von Einzelfällen ausgehen können. Natürlich gilt es diese Einzelfälle ernst zu nehmen, jedoch wäre es absolut ungerechtfertigt, die Beamten unter Generalverdacht zu stellen.

Bei der Ausbildung der Polizisten werden hohe Anforderungen gestellt. Diese wirken bereits präventiv jedweden extremistischen Tendenzen entgegen. Die übergroße Mehrheit der Polizisten hat nicht nur einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, sie steht ebenso uneingeschränkt auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Eine Umfrage unter Hessens Polizeikräften hat bestätigt, dass sich der größte Teil innerhalb der politischen Mitte verortet.

Weiterhin kann ich aus über 25 Jahren Polizeiarbeit mitteilen, dass mir zu keiner Zeit ein Kollege begegnete, den ich für rassistisch hielt.

In der Zusammenschau halte ich eine wissenschaftliche Studie für sinnvoller, welche den kompletten Behörden-Apparat untersucht. Der einseitige Fokus auf die Polizei überzeugt mich nicht!

Bereits der Aufbau des Studien-Designs muss einen ausgewogenen Untersuchungsrahmen gewährleisten. Das bedeutet, hier sollen Experten verschiedener Fachbereiche mitwirken, damit die Steuergelder der Bürger nicht für eine einseitige Analyse verwendet werden, um im Ergebnis eventuell vorgefertigte Annahmen zu bestätigen.“

Heiko Kasseckert, CDU-Landtagsabgeordneter:

„Ich sehe in der angekündigten Untersuchung des Bundesinnenministers eine angemessene Reaktion auf die Vorwürfe einer Radikalisierung in den deutschen Sicherheitsbehörden. Sie ist praktisch eine Fortsetzung der Bemühungen in Hessen. Hier haben wir bereits mit dem Hessischen Kompetenzzentrum Extremismus (HKE) durch eine umfassende Analyse und der Untersuchung von rechtsextremistischen Verdachtsfällen in der hessischen Polizei einen wichtigen Beitrag zur Transparenz geleistet. Derartige Verfehlungen haben in unseren Behörden keinen Platz, dürfen nicht geduldet werden und ihnen wird konsequent nachgegangen. In Folge der Analyse haben wir nicht nur eine Vertrauensfrau für Hilfsangebote an die Polizei etabliert, sondern auch einen Beauftragten für Integrität der hessischen Polizei berufen. Uns geht es darum, dass die Werte und Ideale der hessischen Polizei gewahrt bleiben und im Geiste der Demokratie gelebt werden.

Als Sohn einer Polizeifamilie tut es mir weh, wenn ich erlebe, wie die Sicherheitsbehörden unter Generalverdacht gestellt und ihnen etwa von der SPD-Bundesvorsitzenden, Saskia Esken, in ihren Reihen ein latenter Rassismus unterstellt wird. Ich sehe in unserer Polizei immer noch „Freund und Helfer“, Tag und Nacht, an sieben Tagen in der Woche, an Werk- und Feiertagen. Dafür gilt mein Dank und ich hoffe, dass die Untersuchung des Bundesinnenministers diese Dinge richtig rückt und der Polizei den notwendigen Respekt erweist.

Thomas Maurer, DIE LINKE. Main-Kinzig, Kreisvorsitzender:

„Unsere Abgeordneten im Kreistag haben keine besondere Stellungnahme zu der aufgeworfenen Thematik bezüglich Rassismus in der Polizei. Allerdings hat der Kreisvorstand der LINKEN. Main-Kinzig einvernehmlich mit den Kreistagsabgeordenten folgenden Beschluss dazu gefasst:

Dass es Rassismus und Gewalt bei der Polizei auch hier in Deutschland gibt, steht für uns außer Zweifel. Ebenso, dass es es mehr als nur Einzelfälle sind. Das belegen u.a. die Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 12.6.2020 („Polizeigewalt und Rassismus in Deutschland …“) und im Tagesspiegel vom 5.6.2020 („Polizeigewalt gegen People of Color? Gibt es auch in Deutschland“). Besonders betroffen machen uns diesbezüglich die Angaben der Berliner Initiative „Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt“, die in ihrer Chronik auf 300 (!) Seiten entsprechende Fälle in Berlin seit dem Jahr 2000 aufgelistet und beschrieben haben. Da dann noch von Einzelfällen zu sprechen, ist schon sehr grenzwertig.

Das heißt aber nicht, dass wir unterstellen, „die“ Polizei sei rassistisch. Sicher geht die oft so bezeichnete „überwiegende Mehrheit“ der Polizistinnen und Polizisten nach Recht und Gesetz vor und handelt auch nicht rassistisch. Da sich die Polizei aber aus der Breite der Gesellschaft rekrutiert und in dieser Autoritätsgläubigkeit, Rassismus und rechtes Gedankengut – wie wir die letzten Jahre gesehen haben – vorhanden sind und sich offenbar eher ausbreiten als zurückgehen, findet sich dies eben auch in der Polizei. Hinzu kommt, dass die Polizei eine hierarchisch strukturierte Organisation mit hohen Loyalitätsanforderungen ist, die auch noch das Tragen und Gebrauchen von Waffen ermöglicht, was wohl eher Menschen mit einem rechten Weltbild anzieht – ähnlich wir das Militär.

Wenn nun Menschen, die als Beamtinnen oder Beamte einen Eid auf die Verfassung geschworen haben, sich dann im Beruf zum Beispiel durch unbegründetes „racial profiling“ rassistisch verhalten, so verstoßen sie gegen ihren Amtseid. Aufgrund ihrer wichtigen Aufgabe reicht es einfach nicht – ähnliches gilt unseres Erachtens im Grundsatz z.B. auch für Richter*innen und Lehrer*innen – dass nur eine „überwiegende Mehrheit“ ihre Arbeit vernünftig macht und sich nicht rassistisch verhält. Wir müssen an die Gesetzeshüter höhere Ansprüche hinsichtlich ihrer Verfassungs- und Gesetzestreue haben – und auch Vertrauen in ihr Handeln. Schließlich übertragen wir ihnen aus demokratietheoretischer Sicht die Gewalt über die Durchsetzung unserer Gesetze. Dieses Vertrauen geht schrittweise mit jedem ungeahndeten Vergehen von Polizist*innen verloren. Wer das nicht will, muss etwas dagegen tun, z.B. durch unabhängige Beschwerdestellen und unabhängige Ermittlungseinrichtungen, damit Ermittlungen gegen Polizist*innen nicht von den eigenen Kolleg*innen durchgeführt werden müssen.

Auf diesem Hintergrund ist auch unsere Einschätzung der beabsichtigten wissenschaftlichen Untersuchung zu betrachten. Eine Untersuchung, die in erster Linie feststellen will, ob es rassistische Tendenzen in der Polizei gibt ist ungefähr genauso sinnvoll wir eine wissenschaftliche Untersuchung, die nach Rassismus in der AfD fragt.

Wenn es aber beispielsweise vorrangig darum ginge, die verschiedenen Formen von Rassismus zu untersuchen, geschlechtsspezifische Merkmale festzustellen (z.B. gibt es Rassismus bei Polizistinnen in gleichem Maße wie bei Männern?) oder nach Ausbildungsinhalten und Verfahrensweisen (z.B. bei Fahndungen) mit „rassistischem Potenzial“ bei der Polizei zu suchen, dann kann eine solche Studie, die seit Jahren gefordert wird – wissenschaftliche Unabhängigkeit vorausgesetzt – durchaus Sinn machen und auch Vertrauen zurückgewinnen; zumindest dann, wenn sie wirksame Konsequenzen hätte.“

Daniel Protzmann, FDP Main-Kinzig, Kreisvorsitzender:

„In den vergangenen Wochen ist die Polizei verstärkt ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Die Bundesregierung plant eine Studie zum sogenannten „Racial Profiling“ in der Polizei. Fest steht, dass es in diesem Bereich wenige belastbare wissenschaftliche Untersuchungen gibt. Erstmals seit mehr als 20 Jahren wurde in diesem Jahr bei der Hessischen Polizei eine Studie zum Thema Rassismus durchgeführt. Jedoch hat diese Studie wissenschaftliche Schwächen und Teile der Polizei wurden bei der Befragung schlicht „vergessen“. Insofern ist es aus Sicht der Freien Demokraten sinnvoll und richtig, Fakten zu klären. Nur so können wir erfahren, ob extremistische Vorfälle in der Polizei Einzelfälle sind oder es größere Probleme gibt.

Andererseits müssen wir derartige Studien aber im Gesamtzusammenhang betrachten. Beamtinnen und Beamten halten tagtäglich – im wahrsten Sinne des Wortes – ihre Knochen für die Ordnung und Sicherheit unseres Landes hin und dennoch sinkt das Vertrauen und der Respekt, der ihnen entgegengebracht wird.

Beispiel 1: Das Land Berlin hat ein Antidiskriminierungsgesetz beschlossen, bei dem die Unschuldsvermutung umgekehrt wird. Auch Polizeibeamte sollen künftig nachweisen, dass sie im Dienst niemanden diskriminiert haben.

Beispiel 2: In Dietzenbach werden Polizei und Feuerwehr nachts in einen Hinterhalt gelockt und von mehr als 50 Personen mit Steinen und Flaschen angegriffen.

Beispiel 3: In Stuttgart eskaliert eine Drogenkontrolle. Hunderte Menschen randalieren in der Stadt, verletzen knapp 20 Polizisten und zerstören Polizeiautos.

All diese Vorkommnisse zeigen, dass der Polizeidienst schwieriger und gefährlicher wird. Wenn wir Recht und Ordnung dauerhaft aufrechterhalten wollen, müssen wir künftig intensiver mit der Polizei sprechen. Welche Personalausstattung und welches Material werden benötigt, damit die steigenden Anforderungen erfüllt werden können? Welche Änderungen sind bei Aus- und Fortbildung notwendig, damit die Beamtinnen und Beamten auf die Herausforderungen unserer Einwanderungsgesellschaft reagieren können – Stichwort interkulturelle Kompetenz? Welche Änderungen sind in unserem Rechtssystem notwendig, damit Intensivtäter unserer Gesellschaft nicht auf der Nase herumtanzen? Und nicht zuletzt: Wie schaffen wir es, dass den Werten unseres Grundgesetzes und auch unseren Polizeibeamtinnen und -beamten wieder mehr Respekt entgegengebracht wird? Ich persönlich bin überzeugt, dass es hilfreich sein kann, hier auf die Praktiker zu hören.“

 

Archivfoto: Markus Sommerfeld

 

 

 

 

 

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