Angst und Aufbruchstimmung sitzen direkt nebeneinander

(bt/ea) – Bürgerversammlung zur möglichen Fusion von Erlensee und Neuberg in der Erlenhalle: Gemischte Gefühle, viele Informationen und unterschiedliche Meinungen.

Die Erlenhalle war gut gefüllt. Rund 190 Besucher waren laut den Verantwortlichen der Stadt Erlensee in die Erlenhalle gekommen. Auffällig: Der überwiegende Teil der Anwesenden waren Menschen im gehobenen Alter. Um die rund 725 geschriebenen Karten mit den Fragen und Kommentaren der Bürger zu beantworten, hatten Bürgermeister Stefan Erb und seine Neuberger Kollegin Iris Schröder den Abend in Zusammenarbeit mit Erik Schmidtmann von der Firma GE/CON den Abend in mehrere Themenblöcke geteilt. Schmidtmann ist als Verantwortlicher der Machbarkeitsstudie vom Land Hessen mit der Untersuchung der Umsetzbarkeit der in Frage kommenden Varianten beauftragt.

Zur besseren Übersicht haben wir für Sie die einzelnen Themenpunkte und die wichtigsten Aussagen aus jedem Themenfeld entsprechend der Tagesordnung übernommen:

Demografie, Arbeitsmarkt und Digitalisierung:

Schmidtmann gab zunächst einen Überblick über das Durchschnittsalter der Einwohner beider Orte. Sind es in Erlensee 46 Jahre, so sind Neuberger mit durchschnittlich 50 Jahren nur unwesentlich älter. Doch die Weichen für die Zukunft sind schon deutlich gestellt. Die geburtenschwachen Jahrgänge werden an beiden Kommunen ihre Spuren hinterlassen. So zeichnet sich jetzt bereits eine Personallücke auf dem Arbeitsmarkt ab und selbst beide Kommunen haben Probleme, Posten in der Verwaltung und der Kitas aufzutreiben. „Wir sehen außerdem, dass die Kommunalparlamente schrumpfen“, so Schmidtmann. Doch knapper werdendes Personal ist ein Problem für die Rathäuser beider Orte. „Die Digitalisierung schreitet erheblich voran. Schaffen es beide Kommunen tatsächlich aus eigenen Kraft sich der digitalen Zukunft zu stellen?“ so Schmidtmann.

Auch der Blick nach vorne ließ noch einige Fragen offen: Wie sehen die finanziellen Mittel der Kommunen in der Zukunft aus? Schmidtmann zeigte auf, dass es nur schlechter werden kann: „Niemand weiß was kommt. Die Konjunktur brummt, es kann ja nur bergab gehen. Die letzte Krise ist 8 Jahre her“. Schmidtmann mahnte auch an, beim Thema Finanzen nicht alleine auf die Schulden zu schauen. „Sie müssen auch bewerten, was sie an Werten und Krediten damit an Land holen“.

Familie und Soziales:

Beide Kommunen verfügen über unterschiedliche Leistungsangebote in diesem Bereich. Vor allem die Frage nach Kitas und der Grundschule schienen viele zu interessieren. Befürchtungen, dass die Grundschule in Neuberg durch die Fusion schließen könnte, räumte Iris Schröder aus: „Die Geburtenzahlen in Neuberg geben uns keinen Anlass über die Schließung der Schule nachzudenken. Die Grundschulen und Kitas gehören zur Grundversorgung und werden daher bleiben.“ Stefan Erb ergänzte, dass die Grundschule in Neuberg wesentlich größer und mit mehr Klassen aufgestellt sei als die Grundschulen in Erlensee. „Die Angebote für Kinder und Jugendliche ergänzen sich in beiden Kommunen. Schon jetzt kommen Kinder aus Neuberg ins Jugendzentrum nach Erlensee.“

Lebensqualität und freiwillige Leistungen:

Erik Schmidtmann betonte, dass eine mögliche Zusammenlegung wohl keine Veränderung der Kriminalstatistik herbeiführen wird: „Verbrechen kennt keine Gemarkungsgrenzen.“ Stefan Erb wies zudem darauf hin, dass die Ordnungspolizei bereits jetzt schon interkommunal arbeitet, um die Arbeit stemmen zu können. Einen weiteren Punkt, der offenbar viele bewegt, war das Thema Feuerwehr. Iris Schröder sagte dazu, dass die gesetzliche Hilfsfrist von 10 Minuten, in der die Feuerwehr nach Alarmierung vor Ort wirksame Hilfe leisten muss, Indikator für die weiteren Planungen sein werden. Konkret bedeutet das, dass es keinen einzigen zentralen Standort für die Feuerwehr geben kann, da dann die Hilfsfrist nicht erreicht werden kann. Im Falle eines Zusammenschlusses kommt auf Neuberg zudem ein regulatorischer Klotz zu, da sich die Gemeinde vertraglich der interkommunalen Zusammenarbeit mit Langenselbold, Ronneburg, Hasselroth und Rodenbach angeschlossen hat.

Vereine:

Iris Schröder versuchte herauszustellen, das Vereine keine Angst vor einem möglichen Zusammenschluss mitbringen müssen.:„Vereine sind eigenständige juristische Personen, da hat die Kommune kein Mitspracherecht.“ Erb und Schröder sind sich zudem einig, dass die Vereinsarbeit wichtig ist und unbedingt gefördert werden muss. „Unsere Hallen sind für alle Vereine offen, das will und möchte niemand beschneiden“, sagte Erb. Schröder wies zudem darauf hin, dass das Bürgerhaus in Neuberg weiterhin Heimat der dortigen Vereine bleiben werde. Erb griff die Bedenken eines „Zwangszusammenschlusses“ von Vereinen noch einmal auf: „Vereine sind eigenständig. Wenn es Fusionen gibt, dann ist das eine Entscheidung der betreffenden Vereine aber nicht einer Kommune. Bisherige Zusammenlegungen von Vereinen sind alle der fehlenden personellen Kapazitäten geschuldet“.

Freiwillige Leistungen:

Wünschen nach mehr Restaurants, Kinos und Freizeiteinrichtungen machte Erb keine Zusage: „Das sind Entscheidungen, die nicht wir als Verwaltung fällen sondern eine privatwirtschaftliche Entscheidung bleiben wird.“ Auch die Frage nach der Verbesserung der ärztlichen Versorgung musste Erb klar beantworten: „Hier ist es leider so, dass nicht wir die Anzahl der Arztpraxen festlegen sondern dies durch die Kassenärztliche Vereinigung passiert.“ Viel Gesprächsstoff ließ das Thema Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) aufkommen. Beide Bürgermeister bezeichneten die derzeitige Situation durch die KVG Fahrpläne als „sehr nachteilig für die Kommunen“. Erb wies aber darauf hin, das „mehr Einwohner auch mehr Gewicht bei den Verhandlungen über die ÖPNV Anbindungen“ bedeuten würden. Schröder ergänzte, dass das Thema ÖPNV ein riesiges Thema belieben werde. Bei allen Kommunen in der ganzen Region. Auf die Nachfrage, ob auch der Stadtbus Erlensee im Falle eines Zusammenschlusses bis nach Neuberg fahre, sagte Erb ganz klar zu: „Ravolzhausen und Rüdigheim wären dann Teil der neuen Stadt und würden entsprechend auch mit dem Stadtbus bedient werden. Das steht außer Frage.“

Städtebauliche Entwicklung:

Schmidtmann schmiss einige interessante Zahlen in den Raum. Vergleicht man das Angebot der vor Ort ansässigen Arbeitsplätze mit der Einwohnerzahl, so könnten in Erlensee theoretisch 76% der Einwohner vor Ort arbeiten. In Neuberg wären es lediglich 2%.

Beim Thema Neubaugebiete scheiden sich die Geister. „Wir haben Karten, die wollen Neubaugebiete, andere lehnen sie strikt ab. Fakt ist allerdings, dass nicht Erlensee oder Neuberg darüber entscheiden wird, ob und wo gebaut wird, sondern dass dies die Stadtverordneten der möglicherweise zukünftigen Stadt entscheiden werden“, so Schröder. Schlussendlich werden also die Parteien diese Frage beantworten müssen. Erb griff zudem auch die Frage nach einem neuen, zentralen Stadtzentrum auf: „Eine neue zentrale Innenstadt wird nicht zwingend nötig sein.“

Steuern und Finanzen:

Erik Schmidtmann begann mit einer Hochrechnung, wie viel Geld beide Kommunen in ihre eigenen Aufgaben stecken. Das Ergebnis: Auf die Ausgaben pro Einwohner heruntergerechnet seien die Ausgaben nahezu gleich. Erb eröffnete dann eines der wichtigsten und meist beachteten Themenfelder, nämlich die Frage nach den Schulden beider Kommunen. Mit 25,7 Mio. € steht Erlensee, mit 7,5 Mio. € Neuberg in der Kreide. Das entspricht 1.788€ pro Kopf (Erlensee) und 1.416 € (Neuberg). Erb wies zudem darauf hin, dass Zusammenschlüsse von Kommunen auch vom Land Hessen finanziell gefördert werden. Doch nicht nur das. „Bei steigender Einwohnerzahl steigt auch die Zuweisung aus dem kommunalen Finanzausgleich“, sagte Schröder. Neubergs Bürgermeisterin musste aber eingestehen, dass der Investitionsstau in Neuberg deutlich größer als in Erlensee ist: „Der Investitionsstau im Bereich des Kanalbaus ist erheblich.“

Diskussionen gab es darüber, welche Empfehlungen das Land Hessen als Mindestgröße für Kommunen empfiehlt. Damit Aufwand der Verwaltung und Einwohnerzahl in Relation empfiehlt der Landesrechnungshof eine Gemeindegröße von 8.000 Einwohnern. Für Andreas Weiß von der Initiative „Neuberger für Neuberg“ zählt eher die Empfehlung des hessischen Innenministeriums, dass eine Einwohnerzahl von rund 5160 empfielt. Erb hakte hier ein und sagte: „Ich vertraue dem Rechnungshof mehr, das ist die neutrale Instanz. Der Innenminister ist ein Politiker“. „Zudem ist der Landesrechnungshof Auftraggeber der Studie“, ergänzte Schröder.

Bürgerservice:

Erik Schmidtmann begann mit einer Übersicht der möglichen Fusionsvarianten. Zur Debatte stehen die interkommunale Zusammenarbeit, ein Gemeindeverwaltungsverband und die Einheitsgemeinde. Alle Varianten haben laut Schmidtmann ihre Vor- und Nachteile. Andreas Weiß von der Bürgerinitiative beschwerte sich in diesem Zusammenhang jedoch über die Wortwahl von Schmidtmann: „Ich sehe bereits eine Einfärbung ihrerseits für die Lösung einer „Einheitsgemeinde“ und bitte darum, keine Lösung als voreingenommen zu vertreten“.
Schmidtmann wies diesen Vorwurf zurück: „Wenn ich den Eindruck erweckt habe, tut mir das Leid. Ich möchte aber klarstellen, dass ich ergebnisoffen an den Prozess herangehe und das werde ich bis zur Auswertung aller Parameter so beibehalten.“

Auch die Bedenken über die Schließung von Bauhöfen und/ oder Rathäusern waren weiter Thema. Erb sagte hierbei: „Die Frage, ob es ein Rathaus oder mehrere Rathäuser geben wird und wie die Bauhöfe öffnen werden entscheiden nicht wir heute, sondern die zukünftigen Stadtverordneten“. Auch die Bedenken eines Personalabbaus durch eine mögliche Fusion der beiden Orte räumte Schröder aus: „Die Arbeitsplätze in beiden Kommunen sind sicher. Wir haben bereits jetzt schon zu wenig Mitarbeiter. Außerdem würde ein Stellenabbau auch ein Kompetenzverlust bedeuten und das wollen wir auf keinen Fall.“

Politik und Gremien:

Eines ist jetzt schon klar. Sollten Erlensee und Neuberg fusionieren, wird es wohl auch eine neue Parteienstruktur geben. „Die Parteien beider Orte werden sich mit Sicherheit zusammenschließen, das gebietet schon die knappe Menge Freiwilliger, die sich ehrenamtlich in der Politik einbringen.“ Andreas Weiß von der Initiative Neuberger für Neuberg brachte aber die Bedenken einiger Neuberger zur Sprache: „Es kann aber auch sein, dass das Beste für die Kommune nicht das Beste für Neuberg ist“. Uwe Laskowsi als Vorsitzender der Stadtverordneten in Erlensee kommentierte diese Befürchtung daher schnell: „Wenn jemand sich in seiner Entscheidung gegen einen Stadtteil richtet, muss sich ernsthaft fragen, ob er in der Kommunalpolitik richtig ist.“ Doch auch die Kritiker haben Kritiker: Eine Wortmeldung aus dem Publikum kritisiert sogleich die Voreingenommenheit einiger Anwesender (gemeint sei Weiß), die offenbar gezielt einige Punkte aus dem Ruder laufen lassen will.

Identität:

Als „Antriebsmotor des Ehrenamtes und des Engagements“ attestiert Gutachter Erik Schmidtmann den Neubergern eine gelebte Identität mit ihrem Ort. „Für alle ist es daher wichtig, in den Dialog zu gehen. Die Softskills sind ein wichtiger Faktor bei der Entscheidungsfindung in meinem Gutachten“, der Schmidtmann. Iris Schröder fügt hinzu, dass die alten Ortsnamen durch einen möglichen Zusammenschluss eine Renaissance erleben würden: „Aus Neuberg würde nur noch Ravolzhausen und Rüdigheim werden.“ Schröder machte aber auch klar, dass ein Zusammenschluss Einfluss auf einige Straßen haben würde. „Wir müssen einige Straßen umbenennen. Es geht nicht anders. Aber es wird gerecht verteilt.“

Weiterer Ablauf:

Der weitere Ablauf sieht für den 26. Oktober eine Vorstellung der Machbarkeitsstudie vor. Vorher treffen sich noch verschiedene Gremien und Vereine (Einladungen folgen), um weitere Bürgerbeteiligungen und Meinungen einzuholen. Laut Erb wird die Abstimmung über einen möglichen Zusammenschluss frühestens im April 2019 erfolgen können. Sollte dieser Bürgerentscheid einen Auftrag für den Zusammenschluss zu Tage bringen, rechnen die beiden Rathausspitzen mit einer „Verschmelzungszeit“ von etwa 3-4 Jahren. „Sollte es soweit kommen, ist noch viel Arbeit zu erledigen“, so Erb.


Neuberg und Erlensee eine unglückliche Liebe?
Ein Kommentar von Benjamin Thoran

Sie waren auch auf der Bürgerversammlung? Ist ihnen aufgefallen, dass von 190 anwesenden Menschen der allergrößte Teil den älteren Semestern zuzuordnen ist? Mir stellt sich also die Frage: Die meisten der Menschen, die mit der Entscheidung über die Zukunft ihrer Kommune leben müssen, waren gar nicht da. Aber warum? Mangelt es an Interesse? Wollen sie gar keinen Zusammenschluss? Oder aber interessiert sie die Fragestellung einfach nicht?

Eine Generation die keine Gebietsreform miterlebt hat und die heute Teil einer mobilen Gesellschaft ist und für die Gemarkungsgrenzen kein Hindernis auf ihrem Weg ist, kümmert die Fragestellung wohl auch nicht. Wie auch immer. Als Besucher der Veranstaltung kann man mit Sicherheit immer nur den Teil erfassen, der um einen herum passiert. Um mich herum saßen offenbar viele Neuberger, die anscheinend erhebliche Angst vor einem Zusammenschluss haben. Doch alles nur, weil man befürchtet, als fünftes Rad am Wagen betrachtet zu werden? Zugegeben ich komme nicht aus Neuberg oder aus Erlensee und dürfte eigentlich nicht mitreden. Aber ich muss es, denn manche Argumentationen gegen den Zusammenschluss erscheinen mir persönlich an den Haaren herbeigezogen und aus dem Sachzusammenhang gerissen. Das zumindest empfinde ich, wenn ich auf die Webseite der Bürgerinitiative schaue und dort in der Rubrik „Pro & Contra“ stöbere. Ein Pro Argument konnte ich nicht finden, stattdessen nur Befürchtungen und Warnungen wie gravierend die Folgen einer Fusion für Neuberg sein werden.

Es ist wichtig, immer über den Tellerrand zu schauen, denn das Rad muss nicht überall neu erfunden werden. Schaut man nach Westen, so kann man die Stadt Bruchköbel mit ihren 5 Stadtteilen sehen. Und wissen Sie was? Die Menschen dort zeigen, dass nicht die Politik darüber entscheidet, was ein Stadtteil ist und was nicht, sondern die Einwohner höchst selbst. Ihr persönliches Engagement erhebt ganze Stadtteile in andere Dimensionen. Sehr gut kann man das in Niederissigheim erkennen. Dort kümmern sich junge Einwohner in Eigeninitiative um „ihren Stadtteil“, lassen lange eingeschlafene Traditionen im Maßstab eines Ortsfestes wieder aufleben und zeigen mit ihrem Engagement, dass sie sich kümmern und etwas bewegen können und wollen.

Ich glaube, Neuberg ist mehr als nur eine „Schlafstadt“ und in den Menschen dieser beiden sympathischen Örtchen Rüdigheim und Ravolzhausen steckt mindestens genauso viel Engagement, so dass es kein fünftes Rad am Wagen geben kann.


Foto: PM

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