„Ehrenamtlich – eine Ehre für uns“ – Ein Plädoyer für die Arbeit mit Flüchtlingen

(ea) – Eine sehr persönliche Schilderung von Rina Nentwig und ein Plädoyer – nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben.

Es hat damit angefangen, dass mein Mann mich im Februar 2016 fragte, ob ich mit ihm zusammen die Betreuung einer Flüchtlings-Familie übernehmen wollte. Als ich hörte, dass die Familie aus Afghanistan kommt, hatte ich zunächst Bedenken, denn das islamische Land Afghanistan ist ja nicht gerade freundschaftlich gesinnt gegenüber meinem ersten Heimatland Israel.

Wir verabredeten dennoch einen Termin, brachten Blumen mit und lernten die Familie mit den 3 Töchtern kennen. Es gab Tee und leckeres Gebäck.

Sprechen konnten wir so gut wie nicht miteinander, auch die Kinder verstanden kein Deutsch. Aber anlächeln konnten wir uns gegenseitig, und es entstand eine warme, vertrauensbejahende Atmosphäre. Meine Zweifel, es könnte von dem Ehepaar, G. und S. aus Feindseligkeit mir gegenüber entstehen, hat sich in Luft ausgelöst; Ich hatte ziemlich bald zu verstehen gegeben, dass ich in Israel geboren bin.

In der ersten Zeit hatten wir nicht all zu viel zu tun. Ab und zu kam der Mann, G., und wollte ein Schreiben erklärt haben. Dann kamen Behördengänge, unendlich viele bürokratische Briefe, Informationen und vieles mehr, was noch nicht einmal wir verstanden. Mein Mann und ich sind mehrmals mit der Familie, oft vergeblich, zum Ausländeramt nach Gelnhausen gefahren, um eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten.

Anfang November letzten Jahres kam aber der Schock: Der Asylantrag der Familie wurde abgelehnt. Nun hieß es, schnell einen geeigneten, mit dieser Angelegenheit vertrauten Rechtsanwalt zu finden, den wir nach vielen Telefonaten ausfindig gemacht haben. Die geforderte Summe für Rechtsanwalt- und Gerichtskosten (1500.-€) bekamen wir durch den von mir gestarteten Spendenaufruf zusammen. Ganz viele Freunde haben sich an der Aktion beteiligt. Der Jurist hat bei der Bundesanstalt sofort Widerspruch eingelegt. Wir werden seitdem in Ungewissheit gelassen, was mit der Familie geschieht, und ob sie abgeschoben wird, der Zustand beunruhigt uns und die Familie sehr.

G. hat vor lauter Anspannung, auch wegen seiner schlimmen Erlebnisse in Afghanistan, ständig Kopfschmerzen und S, seine Frau, wurde depressiv. Inzwischen gehen die jüngsten Töchter in den Kindergarten, die große, fast 8 jährige, in die erste Klasse. Sie hat während der Verfolgung in Afghanistan und der späteren Flucht viel und  bewusst mitbekommen, entsprechend  ist sie übermäßig ängstlich, fürchtet sich, dass der Mutter etwas passiert, dass sie gar stirbt.

Einige Male musste die Mutter wegen verschiedener gesundheitlicher Probleme ins Krankenhaus. Sie wurde in der Zwischenzeit schwanger und hatte auch während der Schwangerschaft gesundheitliche Probleme. Ich begleitete sie stets zum Arzt oder ins Krankenhaus. Ging der Mann mal mit ihr, versorgten mein Mann und ich  die 3 Mädchen. Das bedeutet pünktlich vom Kindergarten abholen, von der Schule zu uns nachhause bringen, kochen, Hausaufgaben machen, spielen und und und.  Die Mädchen nennen uns Oma und Opa, und haben inzwischen eine enge Bindung  zu uns, so dass ihnen der Besuch bei uns, ohne die Eltern, keine Probleme mehr macht. Sie haben hier Übungs-Hefte, mit denen sie Wahrnehmungsübungen, Rechnen und Schreiben üben, und sogar die Dreijährige besteht auf ein eigenes Heft und versucht, einige Aufgaben zu lösen.

Spielsachen sind fast im ganzen Erdgeschoss verteilt, aber auch im Hof fehlen keine Spielsachen. Jetzt, wo es kälter geworden ist, sitzen die Mädchen in „ihrem“ Spielzimmer und spielen meist friedlich miteinander.

Eines Tages ging es der Mutter, bereits im 9. Monat, so schlecht, dass ich mit ihr ins Krankenhaus gefahren bin. Nach längerem Warten wurde sie untersucht und die Ärzte beschlossen, einen Kaiserschnitt vorzunehmen, da es mit dem Kind Komplikationen zu geben schien. S. bat mich, bei der Geburt dabei zu sein. Ich wurde aufgefordert, mich vom Kopf bis Fuß umzuziehen und wurde in den OP Raum geführt, wo ich am Kopfende saß und S. die sich verkrampfenden Hände hielt, ihr Gesicht streichelte und ihr gut zuredete, bis das Kind mit unendlicher Mühe und Schmerzen herauskam. Dann wurde mir der Neugeborene, im Handtuch eingewickelt, ein Bündel etwas, in die Arme gelegt, und gefühlte 2 Stunden saß ich mit dem Kind, singend und leise zu ihm sprechend, auf Wartestellung (die Mutter war erschöpft und bekam nicht mit, dass ich ihr das Kind neben sie legte) dann wurde es gemessen, gewogen und schließlich angezogen.

Danach wollte ich endlich nach Hause, aber natürlich wollte der Ehemann und die Kinder, Mutter und Kind sehen. Also holte ich sie, fuhr sie ins Krankenhaus und blieb mit ihnen noch längere Zeit. Nach 9 Stunden konnte ich endlich nachhause fahren, erschöpft, aber glücklich über das wunderbare Erlebnis- Das werde ich sicherlich nie vergessen!!

Als bei der Entlassung (oder hat man schon vorher gemerkt?) Gelbsucht beim Säugling festgestellt wurde, sollte es am nächsten Tag!! sofort in die Kinderklinik gebracht werden. Ich fuhr Mutter und Kind, ohne so schnell einen Babysitz auftreiben zu können nach Hause. Von der  Hebamme bekam ich eine Moralpredigt, denn ich mache mich strafbar, wenn ich das Kind ungesichert im Auto mitnehme. Woher jetzt eine Maxi Cosy (Ich wurde aufgeklärt,  dass es ein Kindersitz für ein Säugling ist) bekommen? Eine nette Nachbarin hat es ermöglicht und brachte uns noch am späten Abend einen, den sie von einer Freundin geliehen hatte, mit.

Ich könnte noch viel über die Rennereien, die anstanden und immer noch notwendig sind berichten, (Arzt, Schule, Kindergarten, Elternabend, Einkaufen, Kochen, Baby Sitten, Telefonate mit Ämtern, Schule, Krankenhaus, Dolmetscherin u.a.). Aber es wäre ein längeres, langweiliges Protokoll geworden, das niemanden interessiert. Es bedeutet stets Arbeit! Das muss ich gestehen, aber eine Arbeit, die zwar erschöpfen kann, aber eine liebevolle Umarmung, einen Kuss von den Kindern zu bekommen, die inzwischen wie unsere eigenen Enkel geworden sind, sind eine große Belohnung.

Auch von den Eltern und den Kindern Mitgefühl zu spüren, wenn es uns mal nicht so gut geht, tut gut. Und zu sehen, wie gerne alle her kommen, bedeutet für alle Beteiligten Zufriedenheit, Glücksgefühl stellt sich ein und man wünscht sich nur, dass dieses Zusammenleben mit diesen uns „fremden“ Menschen , die inzwischen gar nicht mehr fremd sind, für immer währt. Wunderbar zu sehen, wie  schnell die Kinder Deutsch gelernt haben. Sie sprechen sogar jetzt untereinander deutsch, wenn sie spielen und sind den Eltern eine Stütze, wenn diese etwas nicht verstehen.

Nun sind es 4 Kinder, und wir können uns das Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Was wir machen würden, wenn man sie ausweisen sollte, weiß ich nicht.

Ich kann mir vorstellen, dass ich auf die Barrikaden gehe, mich vor sie stelle und sie nicht „hergeben“ werde. Auf jeden Fall werde ich alle Hebel in Bewegung setzen, damit sie hier bleiben dürfen.
„Unsere“ neue Familie, so betrachten wir sie uns sie uns, fühlt sich in Deutschland wohl, sie wollen hier arbeiten, um sich selbst versorgen zu können, um den Staat nicht zu belasten und damit auch ihre Würde wieder zu erlangen. Ihre Ängste nehmen durch gemeinsame Gespräche und positive Erfahrungen mit verschiedenen Menschen, ab. Sie erfahren, dass ihnen geholfen wird, dass man sie nicht vernichten will, und ihr Vertrauen zu ihren Mitmenschen wächst. Hoffentlich werden sie nie enttäuscht werden.

Für uns und Deutschland wäre es ein großer menschlicher Verlust. Bitte, Deutsche Behörde, mach keinen Fehler und lass die Menschen hier, die in ihrer Heimat als Minderheit verfolgt und gefoltert werden, eine Heimat, die den Frauen nicht erlaubt, zu lernen, einen Beruf zu erlernen, eine Heimat, die mordet und für die der Begriff Menschlichkeit, ein Fremdwort ist. das ist keine Heimat mehr, sondern eine immerwährende Folter, Hass und Vertreibung. Da will keiner mehr hin.

Rina Nentwig

Auf dem Foto: Kurz nach der Geburt: „Herzlich Willkommen!“

Foto: Privat

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